Bewohner und Mitarbeiter

Ukrainehilfe von Tasso Stolze aus Süderbrarup

24.10.2024

Gemeinde und Einrichtungsleiter mit ukrainischer Flagge

Herr Stolze, vielleicht berichten Sie uns zu Beginn, wie es zu der Entscheidung kam, Spenden persönlich in die Ukraine zu bringen. Sicherlich kein Entschluss, der innerhalb von ein paar Minuten getroffen wurde.

Die Entscheidung, in die Ukraine zu fahren, war eine emotionale Angelegenheit. Ich engagiere mich aktiv in der evangelischen Gemeinde „Ebenezer“ in Flensburg, die eine Anfrage bekam, an einem Austausch in der Westukraine teilzunehmen.  Ich habe dann einen Tag nachgedacht und fand nach meinem Entschluss, dass es sinnvoll wäre, durch die Reise ein Zeichen zu setzen und bestenfalls nicht mit leeren Händen in das Land zu fahren.

Die Berichterstattung über den Krieg hat jeden Tag ihren festen Platz in den Nachrichten. Hatten Sie keine Bedenken bezüglich der Gefahren durch den Krieg?

Bezüglich der Gefahr hatte ich schon meine Bedenken, aber man setzt sich mit dem Thema auseinander und weiß durch die Berichterstattung, was da jeden Tag passiert. Wir wussten ja auch, dass wir in der Nähe der polnischen Grenze sein werden, wo es relativ ruhig ist. Aber ich dachte, dass es Menschen vor Ort gibt, die auf mehreren Ebenen Hilfe brauchen.  Schlussendlich sind es Menschen, die froh sind, wenn jemand zuhört und ihnen ein paar warme Sachen mitgrbracht werden. Da konnte ich nicht mehr an mein eigenes Wohlergehen denken.

Wie kam es zu der Spende seitens Ihrer Einrichtung?

Mir war eingefallen, dass wir das Geld aus der Aktion „Eisparty: Schlemmen und Spenden“ von Alloheim haben. Das war der eigentliche Startpunkt. Ich hatte mich dann erkundigt und erfahren, dass es in der Ukraine sowas wie „Tafeln“ gibt, bei denen man haltbare Lebensmittel abgeben kann. Das Geld der „Eisparty“ aus dem Sommer habe ich dann für Reis, Nudeln, Mehl und Haferflocken etc. eingesetzt.

Darüber hinaus kamen noch weitere Hilfsgüter zusammen.

Zusätzlich zu den Spenden der Gemeinde „Ebenezer“, habe ich in der Einrichtung einen Spendenaufruf gemacht, denn die Menschen vor Ort brauchen zusätzlich warme Decken, Kleidung und Babysachen. Die Mitarbeiter der Einrichtung haben dann mit viel Einsatz geholfen, möglichst viel zusammenzutragen. Ein weiterer Teil der Spenden kam von den Landfrauen, die in Heimarbeit 50 Paare bunte Socken gestrickt haben. Neben den Privatspenden haben wir auch noch Verbandsmaterial von Hausärzten bekommen.

Wie haben Sie sich auf die Reise vorbereitet und gab es irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen?

Das war eigentlich recht einfach. Wir haben uns die Strecke über Google-Maps rausgesucht, zumal dort auch immer Aktualisierungen sind. Sicherheitsvorkehrungen hatte ich keine. Entweder, es geht alles gut und die Rakete landet nicht auf meinem Kopf, oder es passiert etwas. Man muss sich dessen bewusst sein – sonst hätte ich diese Reise auch nicht angetreten. Im Übrigen kann man auch keine Sicherheitsvorkehrungen treffen, da die Situation vor Ort vorher schwer einzuschätzen ist.

Können Sie uns etwas über den Weg nach Kalusch berichten, speziell auf ukrainischem Territorium?

Bis zur ukrainischen Grenze war es ein sehr entspanntes Fahren. Hinter dem Übergang sind die Straßen bedingt durch Witterung und Verschleiß in einem sehr schlechten Zustand – nicht das Resultat der Angriffe, sondern von Mangelwirtschaft und Geldern, die in anderen Kanälen verschwunden sind. Dadurch haben wir für 30 km teilweise über zwei Stunden gebraucht. Interessanterweise gab es auch öfters Straßenbarrieren seitens der Armee. Dabei wurde kontrolliert, ob Männer ohne ein Schreiben der Armee unterwegs sind und daher sofort eingezogen werden müssten.

Wie lief die konkrete Übergabe der Hilfsgüter ab und an wen, bzw. welche Organisationen, gingen die Spenden?

Nach der Ankunft hat der Gemeindepastor von Kalusch die Sachen in Empfang genommen und in einen Lagerraum gepackt. Von dort werden die Decken, Kleiderspenden und Babysachen gezielt an die Kleiderkammern verteilt. Die Nahrungsmittel gingen direkt an die Tafel für Bedürftige. Man muss auch wissen, dass aufgrund des Krieges derzeit sehr viele Obdachlose von Ort zu Ort laufen und betteln. Sie wollen nicht in den Krieg und sind deswegen ohne festes Obdach. Insbesondere diese – meist Männer– sind auf Hilfe angewiesen. Ich habe bei der Übergabe eine sehr große Dankbarkeit gespürt, doch wir wollten ja kein großes Dankeschön hören, weil es am Ende nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist.

Können Sie die Situation vor Ort, wo Sie sich eine Woche aufgehalten haben, beschreiben? Welche sind die prägendsten Eindrücke?

Zunächst die Wohnverhältnisse. Wir haben in einem maroden neungeschossigen Plattenbau gewohnt, den wir zwischen 24 und 5 Uhr nicht verlassen duften. Dann ist die Stadt stockdunkel und es herrscht Ausgangssperre. In der ersten Nacht hatten wir auch einen Alarm und es kreisten Kampfjets im Tiefflug über uns. Am nächsten Tag haben wir dann erfahren, dass 15 km entfernt russische Drohnen abgeschossen wurden. Ehrlicherweise muss man aber sagen, dass die Menschen vor Ort schon recht kriegslethargisch sind und Ihr Leben irgendwie weiterführen.

Hatten Sie auch die Möglichkeit, „Land und Leute“ besser kennenzulernen?

Wir waren in der Umgebung unterwegs und konnten durch die Hilfe von Dolmetschern mit Passanten ins Gespräch kommen. Zusätzlich gab es auch noch den Austausch bei den gemeinsamen Essen in der evangelischen Gemeinde vor Ort. Mir fiel dabei auf, dass das Thema praktisch keine Rolle spielt, aber trotzdem eine depressive Grundhaltung und getragene Stimmung herrscht. Wir sind nur einmal nach dem Luftalarm gefragt worden und wie es uns dabei erging. Damit hatte es sich. Mir ist aber insgesamt die Herzlichkeit aufgefallen, wie Menschen auf uns reagiert haben. Viele haben sich einfach gefreut, dass Ausländer da sind und wir sie immer noch wahrnehmen.

Kalusch liegt im Südwesten der Ukraine. Dieser Bereich ist nicht so präsent in den täglichen Berichterstattungen. Was haben Sie aber dennoch vom Krieg gespürt? Welche Anzeichen gab es, die einem klar vermitteln, dass Sie sich in einem Land, dass sich im Krieg mit Russland befindet, aufhalten.

In der nächsten Kreisstadt, Ivano Frankiwsk, ist eine ca. 3 km lange Einkaufsstraße auf der in recht kurzen Abständen Bilder von gefallenen Soldaten aufgestellt wurden. Ich wollte diese Reihe ablaufen, bin aber nicht weit gekommen. Als ich sah, dass eine junge Frau mit Kind vor dem Bild eines jungen Mannes Blumen abgelegt hatte und trauerte, konnte ich nicht weitergehen, das war zu emotional. Da waren Bilder von Männern in allen Altersgruppen, von ca. 20 Jahren, bis ins Rentenalter.

Was nehmen Sie von der Reise mit? Vielleicht können Sie uns ein paar Sachen mitgeben.

Ich würde es sofort wieder machen und nicht mehr nachdenken, weil es Menschen sind, um die es am Ende geht – ich mag die einfach und sie sind mir ehrlich ans Herz gewachsen. Was mich aber sehr beeindruckt hatte, war das Treffen mit einem Arzt aus der Klinik. Er hat mir berichtet, dass sie nicht operieren können, da Ihnen Nadeln und Faden fehlen. Der Fokus liegt in der Ukraine momentan an der Front und einfache Eingriffe werden nicht mehr gemacht.

Haben Sie aktuell noch Kontakt in die Ukraine und gibt es vielleicht aktuelle Pläne, an diese Aktion anzuschließen und weitere Spenden zu sammeln?  

Unsere begleitende Dolmetscherin in Kalusch wohnt in Flensburg und mit ihr stehe ich noch im engen Austausch. Wir haben auch mit der ukrainischen Gemeinde eine Verbindung aufgebaut und wollen ggf. noch eine weitere Reise machen. Mein Ziel wäre es dann OP-Material zu sammeln und an das lokale Krankenhaus zu übergeben. Wir sind dafür bereits in Kontakt mit vielen Kliniken, unter anderem der Charité in Berlin. Ich hoffe sehr, dass wir so noch einmal helfen können.