Expertise seit 20 Jahren: Junge Pflege bei Alloheim

Ein Unfall oder eine Erkrankung können für jüngere Menschen dauerhafte Pflege bedeuten. Mirjam Schneider-Jung, Leiterin der Senioren-Residenz „Kruppstraße“ in Düsseldorf, hat vor knapp 20 Jahren das Konzept „Junge Pflege“ entwickelt. Im Interview gibt sie Einblicke, die unter die Haut gehen.

07.06.2021

Residenzleitung Mirjam Schneider-Jung in ihrem Büro in der Alloheim Senioren-Residenz „Kruppstraße“ in Düsseldorf

Der Bedarf ist hoch: Laut dem „Institut für Arbeit und Qualifikation“ der Universität Duisburg-Essen gab es in Deutschland im Jahr 2019 über 818.000 Pflegebedürftige unter 65 Jahren. Aber es gibt nicht viele Einrichtungen, die für die Pflege von jüngeren Menschen gerüstet sind. Mirjam Schneider-Jung erklärt die „Junge Pflege“ bei Alloheim. 

Worauf liegt der Fokus bei der Jungen Pflege?

Unsere Bewohner der Jungen Pflege haben andere Bedürfnisse als unsere älteren Bewohner. Deshalb gehen wir in unserem Betreuungskonzept gezielt auf sie ein. Die jungen Leute wollen am Leben teilnehmen, die wollen ins Kino gehen, zum Fußball oder zum Eishockey. Deswegen unternehmen wir ganz viel mit ihnen. Beispielsweise sind wir mit unserer Gruppe Stammgast bei der wöchentlichen 80er Jahre Party im ZAKK, einem bekannten Kulturzentrum in Düsseldorf. Das geht erst um 22 Uhr los und nicht selten sind wir dort bis morgens um 4 Uhr. Oder wir grillen gemeinsam, gehen zu McDonalds, was junge Leute eben so machen. Das ist in Zeiten der Pandemie natürlich nur sehr eingeschränkt möglich.

Was sind die besonderen Herausforderungen bei der Jungen Pflege?

Die Diagnose sowie die besonderen Umstände des Unfalls oder der Krankheit sind besonders zu berücksichtigen, weil sie direkte Auswirkungen auf die Pflege und Betreuung haben. Wir haben Bewohner, die wachen hier bei uns aus einem monatelangen Koma auf, waren austherapiert, galten als hoffnungslos. Heute leben sie zum Teil sogar wieder zu Hause, was uns sehr freut und uns wirklich stolz macht. Auch die sozialen Umstände sind andere als bei älteren Pflegebedürftigen. Es gibt fast immer Partner und Kinder. Auf all diese äußeren und inneren Umstände müssen wir uns einstellen – und das machen wir sehr gerne.

„Bei uns in der Einrichtung gibt es eine vertrauensvolle und offene Kommunikation, so können sich die Mitarbeiter bei schwierigen Situationen gegenseitig auffangen. Zum Beispiel durch detaillierte Besprechungen zu den Betroffenen, ihren Schicksalen und Förder­möglich­keiten.“

Mirjam Schneider-Jung, Leiterin der Senioren-Residenz „Kruppstraße“ in Düsseldorf

Oftmals haben die Bewohner in der Jungen Pflege schlimme Schicksale. Wie gehen die Pflegekräfte mit dieser besonderen Belastung um?

Das ist in der Tat ein wichtiges Thema in der Jungen Pflege. Wir als Arbeitgeber bieten den Teams natürlich jedwede Hilfestellung an. Zum Beispiel eine Supervision, damit unsere Mitarbeiter die Schicksalsschläge und ihre Folgen für die Betroffenen verarbeiten können. Aber oft sagen sie auch, dass sie das durch den intensiven Austausch dazu mit den Kollegen nicht brauchen. Bei uns in der Einrichtung gibt es eine vertrauensvolle und offene Kommunikation, so können sich die Mitarbeiter bei schwierigen Situationen gegenseitig auffangen. Zum Beispiel durch detaillierte Besprechungen zu den Betroffenen, ihren Schicksalen und Fördermöglichkeiten. Außerdem erzählen mir Mitarbeiter ganz oft, dass es ihr Job ist, sie ihn lieben, deshalb dafür da sind und diesen Weg bewusst gehen möchten. Wir beobachten, dass unsere Mitarbeiter mit der Belastung sehr verantwortungsbewusst umgehen. Es ist aus fachlicher Sicht auch ein sehr interessanter Bereich, weil bei jungen Bewohnern teilweise große Fortschritte möglich sind.

Was müssen Pflegekräfte mitbringen, um in der Jungen Pflege arbeiten zu können? Braucht es eine besondere Aus- oder Weiterbildung?

Eine besondere Qualifikation braucht es nicht, aber ich muss ganz klar sagen: Unsere Mitarbeiter in der Jungen Pflege müssen psychisch stabil sein, denn es geht um junge Menschen, denen Schlimmes widerfahren ist. Man muss sich das gut überlegen: Schaffe ich das, denn wir Pfleger sind hier die Familie der Bewohner, mit all den Schicksalsschlägen, die das mit sich bringt. Mitarbeiter sollten eine große Teamfähigkeit, hohes Verantwortungsbewusstsein und die Liebe zum Beruf mitbringen. Je nach Krankheitsbild sind auch zusätzliche Qualifikationen nötig, um unsere Bewohner bestmöglich zu versorgen.

Seit wann gibt es den Bereich der Jungen Pflege bei Alloheim und wie hat er sich entwickelt?

2003 haben wir die Junge Pflege gegründet. Mittlerweile bieten wir das Konzept in 8 Einrichtungen an. Begonnen haben wir in Düsseldorf mit 11 Betten, heute sind es 58 und wir werden das noch weiter ausbauen, denn die Nachfrage ist sehr groß. Es gab damals kein einziges Haus in Nordrhein-Westfalen, das für jüngere Menschen in der Pflege etwas angeboten hat. Das Konzept habe ich entwickelt und gemeinsam mit dem MDK Nordrhein, dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung, erweitert und abgestimmt.

Wie kamen Sie auf die Idee, den Bereich bei Alloheim aufzubauen?

Die Idee hatte ich 2001 beim Richtfest des neuen Pflegezentrums in der Kruppstraße. Ich bekam einen Anruf, ob wir auch junge Menschen aufnehmen würden. Es ging um einen damals 34-jährigen Multiple-Sklerose-Patienten. Seine Eltern wollten sicherstellen, dass er auch nach ihrem Tod in guten Händen ist. Da es damals in Düsseldorf kein Angebot gab, war das der Anstoß für mich, dieses Konzept zu entwickeln. Dieser Bewohner lebt noch heute bei uns. Auch seine Eltern sind später bei uns eingezogen und haben bis zu ihrem Tod bei uns gewohnt.

Was unterscheidet Junge Pflege bei Alloheim von anderen Anbietern?

Wir haben langjährige und positive Erfahrung in der Jungen Pflege, gehen darin auf und bauen unser Angebot kontinuierlich aus. Uns ist eine angemessene Pflege für junge Menschen sehr wichtig und deshalb setzen wir diese auch um. Wir haben schon Anrufe von anderen Trägern bekommen, die gefragt haben, wie wir das machen. Es ist wichtig, dass passende Therapiekonzepte und dem Alter entsprechende Betreuungsangebote vorliegen, um die jungen Menschen bestmöglich zu fördern und ihnen eine hohe Lebensqualität zu bieten. Viele haben auch gewisse Vorbehalte, mit jungen Menschen zu arbeiten und sie zu pflegen, wenn diese beispielsweise beatmet werden müssen. Wir haben uns aber damals getraut und bis heute viel erreicht.

Spielt Digitalisierung im Bereich der Jungen Pflege eine Rolle? Wie nutzen Sie digitale und technische Möglichkeiten?

Natürlich spielt die Digitalisierung eine Rolle. Wir haben zum Beispiel eine digitale Pflegedokumentation und seit einigen Jahren gehören Sprachcomputer zum Alltag. Manchen Bewohnern in unserer Einrichtung ist es nicht möglich, verbal zu kommunizieren. Um das zu ermöglichen, nutzen wir Tablets, auf denen ein Sprachcomputer installiert ist. Hiermit können die Bewohner mit den Pflegern kommunizieren und ihre Wünsche und Bedürfnisse expliziter mitteilen.

Wenn ich beispielsweise durch einen Unfall von jetzt auf gleich auf Pflege angewiesen bin: Ab welchem Punkt steigt Alloheim mit Beratung und Unterstützung ein?

Wir beraten natürlich jederzeit und machen Hausführungen. Wir stellen unsere Therapien vor und bieten Probewohnen an – sowohl in der Altenpflege als auch in der Jungen Pflege. Das ist uns wichtig. Man kann auch tagsüber einfach mal herkommen und schauen, ob man sich vorstellen kann, hier zu leben. Auch eine Hilfsmittelberatung ist möglich, zum Beispiel zur passenden Rollstuhlversorgung oder zu geeigneten Kommunikationshilfen.

Wie arbeiten Sie mit Krankenhäusern und Rehakliniken zusammen?

Wir sind im engen Austausch mit Unfall- und Rehabilitationskliniken. Wenn wir ein Bett frei haben, melden wir das den Kliniken und dann schreiben sie uns, ob ein Patient daran Interesse hat. Beispielsweise geht es um Person XY mit einer bestimmten Diagnose: Dann gehen wir in den Austausch, fahren in die Klinik und lernen den Bewohner kennen. Danach besprechen wir alles vor Ort und die Angehörigen kommen anschließend zu uns, um sich alles anzuschauen. Selbstverständlich organisieren wir auch die therapeutische Versorgung sowie Ergo-, Logo- und Krankengymnastik. In den vergangenen 20 Jahren haben wir ein bundesweites Netzwerk zu Unfall- und Rehabilitationskliniken aufgebaut. Wir haben hier auch Bewohner aus München und Stuttgart, weil es dort weniger Möglichkeiten gab oder weil die Menschen Verwandte in Düsseldorf und Umgebung haben.

Was muss bei der Auswahl einer Einrichtung in der Jungen Pflege beachtet werden?

Ganz wichtig finde ich, dass es Einzelzimmer gibt und dass diese ausreichend groß sind. Auch die Aufenthaltsbereiche sollten geräumig sein, denn die Bewohner der Jungen Pflege haben häufig Rollstühle, die größer sind als die normalen. Die werden individuell auf die jeweilige Person abgestimmt, damit sie Bewegungsfreiheit haben. Daher müssen die Aufenthaltsbereiche ebenfalls geräumig sein, denn die Bewohner kochen und backen zusammen, gucken sich Filme an, machen Musik, tanzen, da müssen die Räume passen. Zudem sollten genügend Therapeuten und kompetentes Pflegepersonal vorhanden sein. Außerdem sind Stadtnähe und eine gute ÖPNV-Anbindung wichtig, damit die jungen Leute mitten im Leben sind.

„Eine junge, hochschwangere Frau, die mit ihrem Mann bereits Pläne für die Hochzeit hatte, kam zu uns: Ihrem Mann war beim Hockeyspielen ein Aortenaneurysma geplatzt – er fiel ins Koma.“

Was war Ihr bisher einschneidendstes Erlebnis in der Jungen Pflege?

Meine intensivste Erfahrung war zu erleben, wie eine junge Familie mit einem schweren Schicksalsschlag umging: Eine junge, hochschwangere Frau, die mit ihrem Mann bereits Pläne für die Hochzeit hatte, kam zu uns: Ihrem Mann war beim Hockeyspielen ein Aortenaneurysma geplatzt – er fiel ins Koma. Wir haben ihn aufgenommen und die Familie hat hier nach der Geburt dann zu dritt gemeinsam gelebt. Auch eine Wickelkommode und ein Kinderbettchen wurden für das Kind in dem Zimmer zur Verfügung gestellt. Der Bewohner konnte keine sichtbaren Reaktionen zeigen – nur als ihm nach der Geburt sein kleiner Sohn auf den Bauch gelegt wurde, zeigte er eine Reaktion. Das war wirklich sehr bewegend. Die Familie hat viele Jahre bei uns gewohnt, denn eine lange Verweildauer in der Jungen Pflege ist normal. Als der Bewohner allerdings ausgezogen ist, um in der Nähe seiner Eltern zu leben, sind bei uns auch Tränen geflossen. Es gibt eine Bindung, das ist einfach so. 

 

Mehr Informationen zu „Junge Pflege“ finden Sie hier.